Donnerstag, 28. November 2013
Die tüddelige Klatsch-Tante im leider blockierten Fahrstuhl
"Na, Sie haben ja einiges zu tun..." bemerkte die spröde Wilmersdorfer Witwe mit entsprechendem abwertenden Unterton und noch mehr entsprechendem abwertenden Blick. Ich brachte ein paar Sachen in meine Wohnung, die ich woanders untergestellt hatte bis ich genug Platz hatte. "Ja, ein paar Kleinigkeiten..." reagierte ich und zwar nur, um irgendetwas Belangloses als Reaktion hervorzubringen. Ich wusste, dass jegliche "Aktivitäten" im Hausaufgang von brennendem Interesse für die ältere Mitwohngeneration sind...

Mit gekonntem, schnell über alle meine Mitbringsel schweifendem Blick versuchte die höchst adrette Dame alle Details zu erfassen, die man bei einem anständigen Klatsch- und Tratschgespräch zum Besten geben kann. Es gibt ja bekanntlich nix Aufregenderes als den Hausrat seiner Nachbarn zu kennen und detailgetreu mit der Nachbarschaft auszuwerten...

"Sie können aber sehr gern den Fahrstuhl benutzen! Ich habe wirklich Zeit...", sagte ich zu der Frau. Ich bin ja "nett" und ich hatte wirklich Zeit und ja, natürlich wollte ich sie schnellstmöglich loswerden. Ich wollte schließlich vermeiden, dass mein Privatkram zum Hausgespräch wird, weiß ich doch, wie bekanntlich ausschmückend von solchen Zeitgenossinnen jeder Pfurz ausgewertet wird...

"Ach, ist schon gut, die zwei Treppen werden mich schon nicht umbringen!", sagt die kleine neugierige Parfümwolke und geht in Richtung Treppe - aber nicht, ohne mit allem Blickaufwand auch die letzten Wissenslücken bei ihr über meinen privaten Krimskrams schnell aufzufüllen. Hoffentlich hat die Frau auch den Staub auf der blauen Vase gesehen! Wäre ja schade, wenn dieser "Sachverhalt" ungesehen im Hausflur verhallt...

Ich bringe also Stück für Stück mein Hab & Gut in meine Wohnung und bin sehr froh, nicht noch mehr "interessierten Zeitzeugen" dabei begegnet zu sein. Aber wie sich nur kurze Zeit später herausstellte, reicht schon definitiv eine private Hobby-Spionin für Hausgespräche...

"Was haben Sie denn mit Frau Sowieso gemacht? Die musste wohl letztens die Treppen laufen, weil Sie den Fahrstuhl blockierten und fühlte sich danach gar nicht gut - wie sie sagte..." Die Hauswartsfrau schaut mich mit großen, vorwurfsvollen Augen an und erwartete jetzt wohl eine Erklärung, warum ich junger Hüpfer es denn der älteren Bevölkerung so schwer machen müsste. Die freiwillige Treppensteigerin hatte sich noch am selben Tag über mich beschwert und schmückte ihr körperliches Unwohlsein dabei wohl in allen Farben aus...

"Wollen Sie wirklich eine Erklärung hören? Oder sind Sie nur neugierig wie ich auf diese Lügenaktion reagiere?", fragte ich. "Na, man könnte ja schon ein bisschen Rücksicht nehmen - meinen Sie nicht?" Da hatte ich schon die Antwort auf meine beiden Fragen: eine alte Wilmersdorfer Witwe kann lügen, dass sich die Balken biegen unter dem Motto "Die Jugend von heute hat sowieso keinen Anstand mehr" und "die Jugend" hat nicht den Hauch einer Chance, das Geschehene auch nur halbwegs zu relativieren...

Soll ich mich jetzt glücklich schätzen, dass die Pseudo-Fahrstuhl-Frau mich überhaupt wahrgenommen hat? Hätte ich sie mehr über meinen persönlichen Haushaltskram "informieren" müssen, damit sie mir nicht im Nachhinein mit einer Lügengeschichte in den Rücken fällt? Erwartet die "ältere Generation" etwa, dass man sie versteht und auf sie Rücksicht nimmt, wenn umgekehrt nicht das geringste Interesse an Verständnis für die "jüngere Bevölkerung" besteht? Hätte ich die Frau etwa fragen sollen, ob sie mir tragen hilft? Welchen Fehler habe ich denn nun eigentlich gemacht??? ...Und das ist die Welt, in der ich lebe? Erklär`sie mir bitte, denn ich find`sie nämlich blöd!