Dienstag, 8. März 2016
Die echt fiese Anti-Regenbogen-Frau im Bürgeramt in der Heerstraße
Eine sehr liebe Bekannte hat mir erst jetzt (also mittlerweile 15 Jahre später) eine so unerhörte Geschichte erzählt, die vor Ungerechtigkeit und Homophobie nur so trieft, dass ich beschlossen habe, diese den gängigen sozialen Medien zugängig zu machen. Somit biete ich meiner geneigten Leserschaft wieder mal eine neue Anekdote aus der Rubrik "blöde Welt"...

Stellen Sie sich vor, Sie sind im Jahre 2009 von München nach Berlin gezogen und Ihnen wurde hier in der Hauptstadt vergessen, eine neue Lohnsteuerkarte zuzusenden (vor 15 Jahren hat unser schönes Land noch mit diesen Kärtchen gearbeitet). Bei der Nachfrage bei den Berliner Behörden haben Ihnen diese auch ihre zeitliche und lokale Zuständigkeit eingeräumt, den Fehler also zugegeben und Sie suchen jetzt "einfach mal" ein Bürgeramt auf, möglichst ein wohnortnahes… Sie nehmen ihre alte Lohnsteuerkarte des Vorjahres, noch von Münchener Behörden ausgestellt, mit - auf geht`s! (Allen, die beim Wort "Bürgeramt" aktuell Wutausbrüche, Stresspusteln und hektische Flecken bekommen, sei gesagt, ich kann Euch gut verstehen - aber im Jahre 2009 sah das noch ein bisschen anders aus - daher lesen Sie bitte selbst!)

Stellen Sie sich also weiter vor, dass Sie vom persönlichen Status her in einer offiziell eingetragenen Lebenspartnerschaft leben und getaufte Protestantin (divers und auch noch Christin - au weia), also kirchensteuerpflichtig sind. Beides ist bereits im System der Meldebehörde eingespeichert. Als Gymnasiallehrerin an einer Ganztagsschule haben Sie wahrlich wenig Zeit für Behördengänge, deshalb suchen Sie donnerstags abends ein Bürgeramt auf, welches bis 18 Uhr geöffnet hat. So weit, so gut.

Meine Bekannte geht also Anfang März 2009 ins Bürgeramt an der Heerstraße an einem Donnerstag um ca. 16.45 Uhr. An der Anmeldung wird ihr sofort eine neue Lohnsteuerkarte für das Jahr 2009 ausgedruckt. Diese enthält aber leider nicht ihre Konfession, was da heißt, dass der neue Berliner Arbeitgeber auch nicht die Kirchensteuer abführen kann, was meine Bekannte allerdings möchte. Die Dame an der Anmeldung meint aber, dass die Konfession nicht im System vermerkt ist. Nanu? Um diese aber ins System einzupflegen, muss meine Bekannte zu einer Sachbearbeiterin, die Dame an der Anmeldung käme nicht ins System. Meine Bekannte erhält eine Wartenummer und wartet eine Stunde lang bis 17.45 Uhr, ihr Arbeitgeber möchte am nächsten Tag (also einem Freitag) unbedingt noch die neue Lohnsteuerkarte für die Personalakte und zur rechtzeitigen Bearbeitung der Gehaltszahlung. Also wird wieder einmal gewartet...

Dann wird meine Bekannte also endlich aufgerufen, beim Gespräch mit der Sachbearbeiterin sagt sie, dass sie eine Stelle als Sportlehrerin hier in Berlin angenommen hat und schnellstmöglich eine Lohnsteuerkarte benötigt, ihr wurde hier vergessen eine zuzusenden. Erste komische Bemerkungen über lesbische Sportlehrerinnen fallen im Hintergrund… Die Sachbearbeiterin sagt, meine Bekannte müsse einen "formlosen Antrag" stellen, um die Konfession eintragen zu lassen. Da zeigt sie jedoch die alte Lohnsteuerkarte und erklärt, dass die Münchener Behörden die Konfession einfach ins System eingegeben haben, die neue Lohnsteuerkarte ausgedruckt hätten und fertig. Die Taufurkunde reichte den bayerischen Behörden einfach mal als optischer Beweis... Dabei hält meine Bekannte die nichtkorrekte Berliner Lohnsteuerkarte von der Anmeldung auch noch in der Hand.

Das ginge hier in Berlin nicht so einfach, war die Reaktion. So. Der formlose, schnell per Hand geschriebene (und mit Sicherheit unnötige, da als reine Schikane angeforderte) Antrag ist bei der Sachbearbeiterin, diese zeigt noch am Computerbildschirm, dass die Konfession jetzt im System drin ist und bittet meine Bekannte, nun zu gehen, sie hätte ja eine Berliner Lohnsteuerkarte. Aber eine falsche! Was ist denn nun schon wieder los???

Da die Sachbearbeiterin die richtige Karte nicht ausdrucken will, möchte meine Bekannte die Leitung des Bürgeramtes sprechen. Weitere eindeutig als homophob und diskriminierend einzuordnende Bemerkungen fallen im Hintergrund…

Frau Borchardt, die Leiterin des Bürgeramtes Heerstraße, bittet meine Bekannte um 17.55 Uhr in ihr Büro. Sie erklärt mit einem äußerst merkwürdigen Lächeln, dass die Sachbearbeiterin richtig gehandelt hätte. Meine Bekannte ist zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich aufgebracht, weil sie merkt, dass ihr übel mitgespielt wird. Auf die Frage hin, wie und wann sie denn nun ihre korrekte Berliner Lohnsteuerkarte erhält, meinte Frau Borchardt dann: morgen, wenn meine Bekannte wiederkäme. Was passiert dann morgen früh? Meine Bekannte wollte schnell vor ihrem Unterricht die neue Karte abholen, ihr Arbeitgeber braucht sie wie o.g., um ihr Gehalt noch rechtzeitig zu zahlen. Diesen Sachverhalt kannten allerdings auch die Sachbearbeiterin und Frau Borchardt.

Und jetzt kommt es zum Höhepunkt der homophoben Tortur! Frau Borchardt erklärt, dass morgen einfach nur die falsche Karte vernichtet und die richtige ausgedruckt wird. Warum das jetzt nicht ginge, fragte meine Bekannte, es wäre ja wirklich nur ein einziger Klick? Frau Borchardt antwortete, weil meine Bekannte ja jetzt eine Lohnsteuerkarte hätte. Ob Frau Borchardt sie verschaukeln möchte, fragte meine Bekannte? Das Gespräch ist beendet, Auf Wiedersehen, meinte Frau Borchardt, und verwies auf die Tür. "Gut, na dann auf die harte Tour!" sagte meine Bekannte, dann zerreiße sie die falsche Lohnsteuerkarte jetzt und hätte dann keine mehr, was sie auch tat und verlangte von Frau Borchardt den korrekten Ausdruck.

Behördlicher Starrsinn trifft auf zivilen Ungehorsam - ist doch zum Piepen oder? Anti-Regenbogen-Frau Borchardt sammelte demonstrativ und in Zeitlupe die Papierstückchen der zerrissenen Lohnsteuerkarte ein, brüllte meine Bekannte lautstark an (Lautstärke ist übrigens kein Argument fürs Rechthaben) und riet ihr, jetzt zu gehen. Alles Geschilderte passierte von 17.55 Uhr bis 18.00 Uhr. Wahrscheinlich war die körperlich voluminöse Bürgeramtsleiterin um ihren Feierabend besorgt - ach, die Ärmste!

Den Gipfel dieser homophoben Frechheit erfuhr meine Bekannte dann allerdings erst eine Woche später bei einem ganz offen schwulen Sachbearbeiter des Bürgeramtes im schönen Rathaus Schöneberg. Sie wollte also hier ihre neue und korrekte Lohnsteuerkarte ausdrucken lassen. Das mit dem rechtzeitigen Gehalt wurde ihr übrigens "erfolgreich" durch das Bürgeramt Heerstraße versaut, was wahrscheinlich nur eine der niederen Intentionen der dortigen Sachbearbeiterinnen gewesen ist...

Bei den Schöneberger Damen an der Anmeldung erfuhr sie, dass sie nur eine Ersatzlohnsteuerkarte bekommt. Wieso das denn jetzt??? Hier im System steht, sie hätte ihre Originalkarte einfach zerrissen, deshalb müsse sie nun die Gebühr für die Ersatzkarte zahlen und das Ganze bei einem Sachbearbeiter klären. Knaller - oder???

Meine Bekannte erzählte dann die gesamte, haarsträubende und homophobe Ungerechtigkeit dem höchst interessierten, rosa bekleideten Sachbearbeiter. Dieser meinte, dass aber hier im System (auf das alle Bürgerämter auf Grund der gemeinsamenVernetzung zugreifen können) keine Konfession vermerkt ist. Ach nee? Komisch!!! An der Bearbeitungsuhrzeit erkannte er, dass am besagten Tag mit den Ungeheuerlichkeiten im Bürgeramt Heerstraße noch jemand eine halbe Stunde später – sprich 18.30 Uhr - im System gewesen ist. Also war der Feierabend wohl doch nicht so wichtig? Aber das gibt es doch nicht!!! Die Konfession, die für meine Bekannte noch in der Heerstraße auf dem Monitor ersichtlich war, wurde also im Nachhinein wieder heraus gelöscht!!! Ja, Sie lesen richtig! Gelöscht!!!

Der Sachbearbeiter im Bürgeramt des Rathauses Schöneberg sagte zu meiner Bekannten völlig entrüstet und sarkastisch überspitzt: „Offensichtlich waren Sie im falschen Stadtbezirk!“ „Und das in Berlin, wir haben einen schwulen Bürgermeister!“ Der Schöneberger Sachbearbeiter behandelte die Situation unter dem Motto "Geht nicht, gibt`s nicht!" und löste das Homophobie-Problem sehr professionell und zeitgemäß! Ein Hoch auf Menschen, die noch mitdenken können und sich über administrative Grenzen hinwegsetzen!

Nun ja, und da ich denke, dass Frau Borchardt vom Bürgeramt Heerstraße für diese hochprofessionelle Sachbearbeitung definitiv in die öffentlichen Medien muss, habe ich diese Geschichte der Homophobie gegenüber einer protestantischen, lesbischen Sportlehrerin jetzt aufgeschrieben und rege damit zur öffentlichen Meinungsbildung an!

Was hätte meine Bekannte denn Ihrer Meinung nach machen sollen? Wir leben im 21. Jahrhundert in der deutschen Hauptstadt und haben immer noch diese ewig Gestrigen in den Führungspositionen von Ämtern - ist das nicht zum Kotzen? Müssen Menschen denn immer noch ihre angeblichen Machtpositionen für primitive Schikanespielchen ausnutzen? Wer zum Teufel hat diesen Leuten diese Position erlaubt? Alle Menschen sind gleich, und manche sind gleicher? Was geht bloß immer in den Köpfen solcher Leute vor?

Und das ist dann auch noch die Welt, in der ich lebe - erklär`sie mir, ich find`sie nämlich blöd!