Sonntag, 14. Februar 2016
Die neugierige Pralinenverkäuferin und ihre Neigung, dann doch nicht zu helfen, nach dem sie es erst wärmstens versprochen hatte
Ich hatte mir eigentlich fest geschworen, keine neue Freundschaften mehr einzugehen. Es zieht sich nämlich durch mein Leben wie ein geschmackloser Kaugummi - erst lässt man sich auf einen neuen Menschen ein, hört sich tage- und monatelang mit wirklichem Interesse dessen Lebensgeschichte samt Auf und Abs an, freut sich darüber, jemanden auf Wellenlänge gefunden zu haben und schon bei der ersten Prüfung dieser Freundschaft ist diese perfekte Welle sofort abgeebbt... Aber der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen! Der Mensch braucht den Menschen. Niemand ist eine Insel. Sie, meine geneigten LeserInnen, kennen das, sagen Sie? Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder von uns mindestens eine Lebensgeschichte aus dieser Kategorie miterzählen kann - stimmt`s?

Und bei mir kam diese Geschichte so zustande, als dass ich meiner Lieblingsschwäche frönte, die da Schokolade und Pralinen heißt - Sie dürfen gern schmunzeln! Ja, ich weiß, diese Schwäche zieht sich quer durch alle Bevölkerungsschichten - und ja, sie ereilt einen sogar nachts, wo man natürlich total schwach ist! Darüberhinaus ist die Schokoladenschwäche eine gekonnt diplomatische Antwort für die knifflige Frage in einem Vorstellungsgespräch, ob man denn bei all den Stärken, die der Lebenslauf aufzeigt, auch Schwächen hätte? "Oh, ja!", sagte ich dann immer sehr verschmitzt, "Mozartkugeln! Ich bin so schwach, ich komme einfach nicht an ihnen vorbei!"

Jedenfalls führte mich meine Schokoladenliebe regelmäßig in eines unserer Berliner Kaufhäuser, das ein dekadent üppiges Angebot an Pralinen und Confisseriekunst vorweisen kann, und die Häufigkeit meiner Schokoladenlust führte dann auch noch dazu, dass ich mit der Pralinenverkäuferin mehr und mehr ins Gespräch kam, und dann nach mehreren Monaten sogar zu einem Gespräch bei Kaffee und Kuchen außerhalb ihres Arbeitsplatzes, was der Beginn unserer welligen Freundschaft war...

Mittlerweile in alle Hoch und Tiefs meines Lebens als Frau so eingeweiht, kam dann das nächste fremdverursachte Tief auf mich zu, und die Pralinenfreundin versicherte mir hoch und heilig, dass sie mir natürlich selbstverständlich bei diesem traurigen Zwangsumzug helfen werde! Geteiltes Leid ist halbes Leid - ich freute mich wirklich von ganzem Herzen darüber, jemanden, den ich vertraue, bei dieser Zwangsentwurzelung dabei zu haben... Und man darf sich diesen Umzug nicht so horrormäßig vorstellen, wie man dies allgemeinüblich kennt - lauter schweres Zeug, viel sperriges Gelumpe, stressiges Treppengerenne usw. - sondern es handelte sich lediglich für sie um kleine, handliche Schuhkartons mit privatem Staubfängerkrimskrams, die völlig frei von jeglichem Stress in ihren Kleinwagen hätten verstaut werden können...

Als alles verpackt war und sämtliches Hab & Gut ziemlich durchorganisiert abholbereit war, kam dann aber der uns alle bekannte "Schlag ins Gesicht" - eine Absage während des Umzuges! Für Miteinpacken hätte sie Zeit gehabt, aber für den Transport nicht. Diese Logik erschließt sich mir bis heute nicht, und beschriebenes Ereignis ist jetzt fast ein Jahr her! Darüberhinaus hätte sie gerade ihre eigenen Probleme - ihr Enkelsohn wäre von zu Hause abgehauen und schläft jetzt bei ihr, und die dazugehörige Mutter / Tochter würde demnächst auch aus ihrem Haus herausgeklagt werden...

Ja. Toll. Und da stand ich nun. Und natürlich kam die Absage zu spät, unverhofft und per SMS. Und natürlich war das Schokoladenlieschen dann nicht mehr telefonisch erreichbar. Und die Ausrede mit dem Akku nehme ich ihr im 21. Jahrhundert dann auch nicht mehr ab - oder? Vor allem bei jemandem, der sonst 24 Stunden erreichbar ist und auch penetrant darauf achtet, dass dem so ist... Jedenfalls stank die Absage zum Himmel, und sie schnürte mir auch die Kehle zu. Diese Enttäuschungen, die einem dann beigebracht werden, hauen mich ziemlich aus der Bahn und machen mich nahezu fassunglos vor Schmerz und Wut - vor allem, weil es immer das gleiche Schema ist: erst ja natürlich, keine Frage, ganz sicher - und dann mittendrin nö...

Was soll ich sagen? Tage später trudelten dann ebenso per SMS ihre Entschuldigungen ein... Von Unwohlsein, über Arbeitsstress und Nase-voll-vom-Job-Worten bis hin zu privaten Problemen und Zeit- und Geldmangel. Joah. Schön! Nur, dass ich mich auf ihre Hilfe und festen Beteuerungen verlassen hatte... Einpacken wäre auch interessanter gewesen - ich verstehe: ich hätte gern gesehen, was so alles in Deinem Privatbesitz ist (der ja ach so umfangreich ist - man man man), aber schnödes Transportieren mit dem Auto - nee nee, da ist einfach mal nix für die Neugier der Kakaotrulla dabei...

Ich möge doch Verständnis haben... Nein! Habe ich nicht! Ich ziehe JETZT um. Ich brauche JETZT Hilfe. Ich benötige JETZT ihr Auto und ihre helfende Hand. Aber da scheint diese "Blut-ist-dicker-als-Wasser-Philosophie" wiedermal total rücksichtslos zuzuschlagen. Sofern mit der Familie (egal, wie blöd man sie findet und wie wenig Kontakt man sonst hat) etwas ist, werden sämtliche ach so guten Freunde im Regen stehen gelassen! Freunde kann man sich aussuchen - Familie nicht! Schon mal darüber nachgedacht?

Und ich? Hätte ich darüber nachdenken sollen, mir eine Rückfalloption zu sichern? Muss man heutzutage denn immer mehrere Eisen im Feuer haben? Ist denn das Wort einer Freundin gar nix mehr wert? Hätte ich sie vielleicht doch beim krimskramigen Einpacken belangen sollen, damit ihre Neugier befriedigt wird? Oder muss man jetzt immer Benzingeld mit anbieten, wenn man jemanden um Autohilfe bittet? Ist denn auf Freundschaften wirklich überhaupt kein Verlass mehr?

Und das ist dann auch noch die Welt, in der ich lebe? Erklär`sie mir bitte - ich find`sie nämlich blöd!