Samstag, 23. September 2017
Die "blöde Pute" in der Warteschlange und ihre Einschätzungen zum Bildungsgrad ihrer senioralen Nachfolgerin
Ganz regelmäßig jedes Wochenende ist Weltuntergang in unserem schönen Land - stimmt`s, meine lieben Mitmenschen? Oder stimmt`s etwa nicht? Und mal ganz abgesehen von den verschiedenen Formen des Weltuntergangs, die im Privatleben und auf dem politischen Schlachtfeld praktiziert werden, ist hier lediglich die Rede davon, was spätestens ab Freitag Mittag in den deutschen Supermärkten passiert. In den Filialen der hier beschriebenen Marktkette ist manchmal auch noch Montags oder Donnerstags oder Samstags Weltuntergangsstimmung - das hängt vom den Sonderangeboten ab, die der konsumierende Verbraucher so dringend für ein standesgemäßes Weltuntergangsszenarium benötigt.

Aber bitte bitte, meine geneigte Leserschaft - bitte verwechseln Sie nicht die gängigen Weltuntergangseinkäufe mit den Kaufrauschbewältigungsstrategien des modernen Arbeitnehmers und auch nicht mit den vielen unnötigen sowie saisonalen Jahresendzeitbesorgungen - oh nein! Diese Form des materiellen Weltuntergangs ist völlig unabhängig von den gängigen Feiertagen, wohl aber im Hinblick auf den stets jeweils kommenden Sonntag mit demselbigen zwangsweise verknüpft...

Kaufrausch ist übrigens die rasante Beschaffung unterschiedlichster - meist modischer - Artikel in kürzester Zeit zur Steigerung der eigenen Zufriedenheit. Dieses Phänomen begegnet einem zugegebenermaßen eher in der weiblichen Bevölkerung - oder kennen Sie einen Mann, der zum Frustablassen Klamotten kaufen geht? Krümelkacker werden jetzt sagen "ja, klar!". Ihr Lieben, die Rede ist von einem Mann, und nicht von irgend so einem metrosexuellen Wesen, das gepflegtere Fingelnägel hat als die schöne Nachbarin von Nebenan - ok!? Und ich als Frau bin noch nie vor Frust zum Gemüseladen an der Ecke gerannt und habe mich opulent mit sekundären Pflanzenstoffen eingedeckt - Sie etwa? Extrem-Möhrchen-Shopping? Nee, oder? So. Die hier angesprochenen Weltuntergangseinkäufe beziehen sich aber sehr wohl und ausschließlich auf den Nahrungs- und Lebensmittelbereich.

Nun stehe ich also mit einem einzigen Einzelteil des Lebensmittelbereiches und noch völlig im Pyjama-Modus nach einer harten Arbeitswoche ziemlich zerknautscht an der Kasse und warte unheimlich gelassen darauf, mein Brötchen bezahlen zu dürfen, welches ich danach dann sofort gemütlich verfrühstücken wollte. Die halbwegs gestressten Weltuntergangsschwingungen im Markt habe ich schon unterschwellig vernommen - lasse mich aber nie von ihnen beeinflussen. Meine Schrippe rutschte nur ganz langsam wenn überhaupt mit dem Transportband in Richtung Kasse. Das lag daran, dass zwei Kunden vor mir, der Einkauf etwas üppiger ausfiel und mehr auf dem Band aufgetürmt als nett hintereinandergelegt war. Ein Aufrücken in der Warteschlange war also nicht nötig, es handelte sich ja immer noch um einunddenselben Kunden, der abkassiert wurde.

Ihr Lieben, es geht mir nicht darum, dass eingekauft werden muss oder was bzw. wieviel eingekauft wird, sondern lediglich wie das Ganze passiert. Es ist also die Rede vom Sozialverhalten der Menschen bei ihren alltäglichen Besorgungen. Zum Verhalten des Homo Saphiens gibt es so viele Studien und Doktorarbeiten - meine persönlichen Highlights sind "Das Verhalten der Menschen am Wasser" und "Die Inhalte der Peinlichkeitsgespräche im Fahrstuhl" - aber es wäre auch ein Meilenstein der Psychologie mal das Benehmen unserer Spezies in Warteschlangen zu untersuchen - finden Sie nicht auch? Die Doktorarbeit darüber könnte gleich in mehreren Bänden von mehreren zukünftigen Doktoren geschrieben werden und wäre nach deren Veröffentlichung ein monatelanger Bestseller auf der Liste der Sachbücher...

Joah. Aber mal zurück zu mir, meinem entspannten Stehen an der Supermarktkasse und meinem frischen Brötchen auf dem Transportband. Denn wir beide - also sowohl mein Einkauf als auch ich - lieben es, zum Vordermann einen entsprechenden Abstand zu halten. Die Rede ist dabei nicht von einer riesigen Lücke, sondern von dieser angenehmen Distanz, ab der man nicht mehr den schniefenden Knoblauchatem seines Hintermannes im eigenen Nacken spürt - Sie wissen garantiert, wovon ich rede - stimmt`s? Den Atem eines anderen Menschen auf der eigenen Haut zu spüren, kann ein sehr privater Moment sein - aber im Kontext zum Supermarkt kommt da beim besten Willen keine Privatsphäre heraus - egal, wie sehr sich mein Kopfkino da bemüht!

Das Mitmenschlein, welches nach mir in der Kassenschlange stand, war an äußerer und innerer Garstigkeit nämlich nicht zu überbieten - wie sich später herausstellte... "Später" ist dabei so zu definieren, als dass sich an meiner oben genannten Pyjama-Situation doch tatsächlich etwas änderte - mein duftendes Weizenmehlprodukt rutschte 5 Zentimeter weiter! Yeah! Was für ein Fortschritt!

Diese immense Distanz veranlasste die zerknautschte Seniorin hinter mir zu folgender Aufforderung an mich: "Könnse nich ma noch `n Stück rutschen? Ick will och endlich ma auspacken!" Der verbalen Niveaustufe angepasst reagierte ich mit "Wieviel Meter brauchen Sie denn für Ihre 3 Sachen - 8?" und machte so eine Armbewegung, bei der man mit beiden Armen samt Händen einen Riesenabstand zeigt. "Du, blöde Pute, jetz mach endlich Platz!", totterte die schlecht gelaunte Rentnerin (geschätztes Alter Mitte 80). "Moment, ich suche mir kurz einen Baum, auf den ich für Sie springen kann!", konterte ich zurück und ging davon aus, dass die Frau verstanden hätte, dass ich nicht aufrutschen kann, weil es einfach nicht geht. "Olle Ziege, jetz mach, dat De wegkommst!", brabbelte die angepisste Alte zum dritten Mal. "Wissen Sie, junge Frau, auch, wenn mich mein Vorgänger Huckepack nimmt, wird die Kassiererin deshalb nicht schneller arbeiten!", warf ich der Omma an den Kopf und mein Vorgänger, der ebenfalls nur ein Brötchenkäufer war, drehte sich um und meinte "Stimmt auffallend!" und wir beide grinsten Totteromi zusammen an...

"Du, dumme Gans, Du! Jetz halt endlich die Klappe!", echauffierte sich das ungehaltende Großmütterchen ein weiteres Mal, und ich beschloss jetzt, dieses lästige Wesen endlich loszuwerden: "So! Soviel zu Ihrem nicht vorhandenen Bildungsgrad! Und dann heißt es immer, man soll Achtung vor der älteren Generation haben! Bevor Sie mich noch einmal mit Ihren tierischen Vergleichen beschenken, machen SIE jetzt mal Platz hier!" und schob ihren Einkaufswagen rückwärts aus der Schlange heraus, um mir den Weg frei zu machen. Und kiek an - da war se platt, die Gute!

Mittlerweile hatte sie auch lautstarke Kritik aus der Warteschlange geerntet, von wegen was sie hier für einen Aufstand macht und für wen sie sich eigentlich hält!!! Offensichtlich war sie für ihr ausfallendes Wesen den unmittelbar Beteiligten keine Unbekannte mehr, sondern ein "bunter Hund" - na kiek ma an!!!

Da die Backwaren in Deutschland glücklicher Weise noch keinen Strichcode haben, was mich dann als Verbraucher von der Scannerkasse abhängig machen würde, habe ich mir die Freiheit genommen, dem freundlichen Filialleiter das passende Kleingeld in die Hand zu geben. Ich habe ihm darüberhinaus verdeutlicht, dass ich mich nicht in der Lage sehe, mich in die wartende Menge zu schmeißen, da eine Rentnerin dort völlig neben der Spur ist...

Da sie immer noch von Weitem lauthals zu identifizieren war, weil sie sich bereits mit dem nächsten armen Würstchen anlegte, ging der Filialleiter zu ihr und meinte: "Wenn Sie mir hier meine Kundschaft vergraulen, dann muss ich Ihnen Hausverbot erteilen!". "Richtig so!", tönte es aus der Warteschlange. "Jeden Morgen dasselbe mit der!", rief ein anderer. Und "Die is echt nervig!", meinte noch ein weiterer Kunde... Man soll den Menschen ja ihr Verhalten spiegeln, aber Meckerömchen hier scheint ein ganzes Spiegelkabinett zu brauchen bis man sie geistig erreicht!


Und das, was mir noch durch den Kopf ging, war folgender Gedanke: "Mäuschen, Du hast richtig Schwein, dass Du hier in einem sehr ruhigen Stadtteil Berlins wohnst, wo die Leute noch Anstand und Respekt haben. In einem anderen Bezirk unserer schönen Hauptstadt hättest Du wahrscheinlich eins auf die Mütze bekommen und keinen Mucks mehr von Dir gegeben! Die allgegenwärtige Globalisierung sorgt nämlich leider zum Absinken der Reizschwelle in der Bevölkerung - das ist bedauernswerte Realität..."

Mit meinem Brötchen in der Hand wartete ich danach mit verschränkten Armen und breitbeinig sowie provokant stehend vor dem Markt auf dat Gangstaomchen - schließlich will ich sehen, wo dat Schätzelein wohnt! Jeder Mensch muss die Konsequenzen seines Handelns tragen - oh ja! Weil die Seniorin jetzt aber während des Einpackens echt Schiss bekommen hatte, hat sie sich Schützenhilfe besorgt und eine weitere Omi mit Hackenporsche als ihre Begleitung engagiert - ach was! Und siehe da - Mütterchen Meckerfresse wohnt gleich gegenüber - ach nee! Sie ist dann ganz schnell in ihrem Haus verschwunden. Einkaufsrollator Nr.2 wurde dann umgehend entlassen und ist auch von dannen davongetrödelt...

Joah. Soviel dazu, meine geneigte Leseschaft! Haben Sie schon einmal diese Postkarten gesehen, auf denen "Seid nett zu uns, sonst stecken wir Euch in ein Altersheim!" steht? Botschaftsidentisch gibt es auch noch die Version "Seid nett zu uns, wir erarbeiten schließlich Eure Rente!". Das mit dem sogenannten Generationenvertrag ist echt so eine Sache... Stimmt`s? Bei den liebevollen Großeltern, die jeden von hinten bis vorne komplett verwöhnen und die man ständig dafür knuddeln könnte, ist dieser Vertrag völlig angemessen, weil man vor Dankbarkeit fast überquillt - aber was macht man mit den oben erwähnten Vertetern dieser Generation? Gute Frage - oder? Bei der Kultur der Eskimos setzen sich diese wohl von selbst auf eine Eisscholle...

Nun ja... Ich weiß wirklich nicht, was diese Frau von mir erwartet hat? Sollte ich mich extra für sie spontan in Luft auflösen? Hätte ich ihr auf Grund ihres losen Mundwerkes den Vortritt lassen sollen? Oder hätte ich doch vielleicht mal mit meinem Vorgänger die Huckepackversion ausprobieren sollen? Wäre es angebracht gewesen, die Kassiererin dusslig vollzutexten im Sinne von sie möge doch mal schneller machen? Oder ist es vielleicht doch angemessen, sich in diesem Hamsterkäfig in Geduld zu üben? Und hat man überhaupt die Chance, das Ganze zu entschleunigen bzw. gelassener zu sehen?

Und das ist dann auch noch die Welt, in der ich lebe! Erklär´sie mir - ich find´sie nämlich blöd!