Samstag, 7. November 2015
Die arme, erkältete Tussi mit dem potthässlichen Wollschal in der überfüllten S-Bahn
Wer in der Erkältungszeit mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, der kennt das - man steigt in Bus oder Bahn ein und ein Erkältungsmief vom Feinsten erschlägt einen gleich unmittelbar nach dem Einstieg. Puh! Ich weiß, dass es viele Mitmenschen gibt, die bemerken dies ach so gar nicht. Dies sind dann aber meist auch jene ferngesteuerten Gestalten, die auf Grund des Smartphones in ihrer Hand sowieso nix mehr mitkriegen...

Jedenfalls bin ich in so einen miefigen S-Bahnwagon eingestiegen, bei dem leider auch schon von außen an den beschlagenen Fenstern erkennbar war, dass es innen höchstwahrscheinlich mollig verpupt ist. Ja, ich weiß - mein Fehler! Man muss dazu allerdings sagen, dass es sich zeitlich gesehen um Anfang September handelte bei der folgenden Anekdote aus der Rubrik "Arme verpimpelte Generation", und zwar gerade mal um den 3. Tag, der nicht mehr hochsommerlich heiß war...

Im Abteil angekommen suche ich also nach einem Sitzplatz. Am Fenster neben einer jungen Frau ist noch etwas frei. Mit im Vierer sitzen eine adrette Mitfünfzigerin, die ein Kreuzworträtsel löste und ein gemütlicher Bauarbeiter, der an seinem Kaffee-To-Go nippte. "Lassen Sie mich nur kurz eine Station lüften", sagte ich und öffnete das Kippfenster, "ich mache es dann gleich wieder zu". Danach setzte ich mich und freute mich auf meine morgendliche Sauerstoffzufuhr, denn die Luft stank wahrlich sehr verbraucht - alter Schweiß, noch älterer Knoblauch, viel ältere Käsefüße, eine Menge Erkältungsbalsam mit Menthol, Kampfer, Salbei usw., sie wissen schon - stimmt`s?

"Ich habe aber Halsschmerzen. Da geht das gar nicht.", motzte die junge Frau plötzlich neben mir und sprang wie eine Furie auf, um sofort das Fenster zuzudonnern. Womm! Und genauso womm ließ sie sich wieder auf ihren Sitz fallen. Die Leute ringsrum schauten erschrocken von ihren Smartphones, E-Readern und Zeitungen auf, weil das Fensterzuschlagen schon ordentlich gescheppert hatte.

"Was ist denn mit Ihnen nicht in Ordnung?", fragte ich diese wahrlich dusslige Kuh, "Die Luft hier drin ist unheimlich schlecht und ich lüfte bloß kurz.", entgegnete ich und machte das Fenster wieder auf. Der Bauarbeiter grinste verschmitzt, die Kreuzworträtselfrau hob die Augenbrauen an. Aber meine arme, verpimpelte Sitznachbarin packte die Kampfeswut! Sie sprang abermals auf wie ein Duracell-Häschen und schmiss wiederum lautstark das S-Bahnfenster zu.

Jetzt hatte auch der letzte Passagier mitbekommen, dass hier etwas im Gange ist. Um die ganze Szenerie aber genau zu beschreiben, muss ich drei Sätze über die Kleidung bzw. das, was sich die erkältete Tussi so übergeworfen hatte, verlieren. Als da wäre einen völlig verwaschenen, ausgeleierten, mal blaß lila gewesenen BH, der weder seinen Namen verdient noch seiner Ursprungsfunktion nachkam, darüber trug die geschmacklose Zeitgenossin ein ärmelloses, zerknittetes, durchsichtiges Tshirt, dessen Herkunft wohl in primarkischen Gefilden zu vermuten ist und ihren ach so erkälteten Hals umschlung mehrfach ein miefig-fettiger senffarbener Wollschal...

"Sagen Sie mal - merken Sie es noch?", fragte ich diese morgendliche Katastrophe. "Wer um diese Jahreszeit schon erkältet ist, der hat ganz offensichtlich einen Fehler gemacht! Gucken Sie sich doch mal an!", forderte ich die Frau auf und öffnete das Fenster ein drittes Mal. "Nur, weil sie im Kindergarten beim Thema Anziehen nicht aufgepasst haben, muss ich mich noch lange nicht bei Ihnen anstecken!", meinte ich und grinste kopfschüttelnd.

Aber der Senfwollschal ließ sich nicht beirren. Dafür grinsten mittlerweile alle beteiligten Passagiere und schüttelten u.a. mit dem Kopf. Der Bauarbeiter hatte sich intelligenterweise bereits etwas weggesetzt, dem war das wahrscheinlich zu blöd. Also sprang die Erkältete nochmals auf, schmiss das Fenster mit Riesenrums zu und trotzte dabei lauthals: "Das Fenster bleibt zu."

Na gut, Du olle Trine, Du hast Dich jetzt ausreichend zum Gespött gemacht, dachte ich über die Frau, ich werde dennoch nicht Deine Scheiß-Viren einatmen! "Das ist mir jetzt echt zu primitiv und asozial.", sagte ich ihr direkt ins Gesicht und stieg dann um in den nächsten Wagon. Ein Mann sagte noch "Richtig!", jemand applaudierte und eine andere Frau meinte "Die steckt wahrscheinlich noch alle hier an...". Die Kreuzworträtselfrau hat sich schlussendlich auch noch weggesetzt, sodass die Erkältungs-Tussi jetzt allein in einem Vierer-Sitz saß.

Vom anderen Wagon aus grinste ich dann nochmal in den Katastrophen-Wagon rüber und ein älterer Mann zeigte mir dann doch tatsächlich "Daumen hoch"! Was für eine morgendliche Begegnung dritter Art, dachte ich. Unglaublich diese Aufmachung und echt peinlich dieses Verhalten! In was für einer Gesellschaft leben wir bloß?!

Ist es nicht mehr "modern", sich gemäß des Wetters zu kleiden? Trägt man jetzt neuerdings seine Erkältung zur Schau? Muss man seinen verpimpelten Individualismus jetzt auch noch in der Öffentlichkeit ausleben? Ist es momentan wichtig, alles zu teilen - auch seine Viren, Bakterien und sämtliche Infektionen? Wenn diese Frau sich nicht in die Gegebenheiten des Öffentlichen Nahverkehrs einordnen kann - warum fährt sie dann nicht ein ebenso geschmackloses Auto? Da kann sie bei der Rundumlüftung alle ihre Viren mehrfach inhalieren und muss nicht die respektlosen Mitmenschen ertragen, die so dreist für frische Luft sorgen wollen. Und überhaupt - stirbt man jetzt, wenn mal kurz für eine Station etwas Sauerstoff in den Wagon kommt? Und noch überhaupter - warum bleibt diese blöde Zimtzicke nicht zu Hause, wenn sie doch ach so krank ist?

Und das ist dann auch noch die Welt, in der ich lebe - erklär`sie mir bitte, ich finde sie nämlich blöd!

... link